Unzeitgemässe Überlegungen zu einem zeitgemässen nachhaltigen Städtebau

Architektur und Stadt sind nicht die einzigen Verantwortlichen für Energieverbrauch und Umweltverschmutzung, fallen jedoch mit knapp 50 Prozent stark ins Gewicht. Deshalb sollte der Energieverbrauch und CO2-Ausstoss der Häuser auf das Minimum reduziert werden. Hierbei handelt es sich jedoch immer um eine punktuelle Massnahme, die nicht überbewertet werden sollte. Gegenwärtig sind auf den „Minergiezug“ nicht nur alle möglichen Zertifizierungsinstitutionen, sondern vor allem auch Hersteller aufgesprungen, die ihre Produkte unter dem hehren Mäntelchen des Umweltschutzes absetzen wollen.

So wäre es zu prüfen, ob es wirklich Sinn macht, vollkommen luftdichte Fenster, die in den Räumen Schimmelbildung fördern, mit der sogenannten Komfortlüftung zu kombinieren, die nichts anderes ist als eine kleine Klimaanlage und damit sowohl Energie verbraucht als auch zusätzliche, einigermassen anfällige Technik in das Haus bringt. Auf jeden Fall droht die durch die neuen Energieverordnungen forcierte und flächendeckende Wärmedämmung durch Dämmplattenverpackungen die letzten Reste stadtbildprägender und ortstypischer Bebauung zu zerstören und durch zweifelhafte, kurzfristig gedachte Technologien die Sondermüllberge von morgen zu produzieren.

Es gilt, die Energiebilanz für langfristige Zeiträume zu bedenken. Und es gilt, nicht nur den Energie-, sondern auch den Material- und Wasserverbrauch zu verringern, vor allem dadurch, dass Stadtstrukturen und Gebäude so konzipiert und realisiert werden, dass sie möglichst lange halten. Überhaupt tut eine viel breitere, also auch städtebauliche Sicht des Nachhaltigkeitsgedankens Not.

Kompakte Stadt statt Zersiedelung

Bautypen und Stadtstrukturen beeinflussen Energieverbrauch und Umweltverschmutzung in grossem Mass. Die kompakte Stadt ist ungleich nachhaltiger als die Zersiedlung. Für die bauliche Dichte sprechen zunächst einfach funktionale Gründe. Je enger die unterschiedlichen Nutzungsbereiche der Stadt zusammenrücken, umso eher und öfter wird zwischen ihnen ein Austausch stattfinden. Hinzu kommt, dass die klassische räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben in der modernen Gesellschaft zunehmend aufgehoben wird. Dieser Lebensart kommt die Nähe von Haus und Arbeitsort stark entgegen.

Für die bauliche Dichte sprechen auch ökonomische Gründe. Das Leben in der Peripherie scheint preiswert zu sein, weil dort die Mieten respektive die Grundstückskosten in der Regel niedriger liegen als in der Stadt, ist es aber in Wahrheit nicht. Die langen Wege ins Büro, zum Einkaufszentrum, zum Multiplexkino oder einfach ins Stadtzentrum schlagen im Familienbudget zu Buche.

Für die bauliche Dichte sprechen vor allem aber ökologische Gründe. Der gegenwärtige Landschaftsverbrauch durch die Baulandausweisung ist unverantwortlich: In der Schweiz beträgt er etwa einen Quadratmeter pro Sekunde, wobei die Planung in der Schweiz einigermassen musterhaft ist und das Land viel besser da steht als seine Nachbarn. Aber ein Quadratmeter pro Sekunde ist bereits viel zu viel.

Die schlechte Energiebilanz von Suburbia

Diesem Landschaftsverbrauch gegenüber stehen, immer noch in der Schweiz, ungenützte städtische oder vorstädtische Grundstücke, die sich zu einer Fläche summieren, die jener der Stadt Genf entspricht. Und auch abgesehen von der Naturzerstörung, die sie rein flächenmässig mit sich bringt, stellt jede Ansiedlung eine Umweltbedrohung dar, und ihre Energie- und Verschmutzungsbilanz verschlechtert sich exponentiell, wenn die Stadt nicht mehr eine Stadt ist, sondern Suburbia.

Es ist kein Zufall, dass die neue Stadt des Zusammenrückens, die neue Stadt der Dichte bislang nicht realisiert wurde; ebenso wie es kein Zufall ist, dass die Peripherie so ausgedehnt ist und so ausgefranst, wie sie ist. Die letztere ist weniger ein Produkt falscher Planung als ein Produkt falscher Präferenzen: politisch gewollt und mit gesetzlichen Instrumenten und finanziellen Anreizen forciert. Diese Anreize, diese Instrumente und dieser Wille müssen umgepolt werden. Zugleich müssen für die Stadt der Dichte neue architektonische Leitbilder entwickelt werden.

Autor: Vittorio Magnago Lampugnani

Vittorio Magnago Lampugnani ist Architekt, Architekturtheoretiker, Architekturhistoriker und ordentlicher Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich.