Die Herausforderungen für die bauende Gesellschaft unserer Zeit erstrecken sich von Ressourcenknappheit über Klimawandel bis hin zum Raumklima mitsamt seinen oft nicht gänzlich funktionierenden Gebäudesystemen. Auf der Suche nach Lösungen fällt der Fokus nun auf eine uralte und bewährte Bautechnik – den Lehmbau.
In Vergessenheit geriet die traditionelle Bauart im Zuge der Industrialisierung, als Energie, Zement und Ziegel für alle erschwinglich wurden. Nur in Krisenzeiten, etwa nach den beiden Weltkriegen, wurde es wieder interessant, weil Energie und Ressourcen knapp waren.
Dabei gibt kaum eine nachhaltigere Art zu bauen. Während die Herstellung einer Tonne Zement rund 900 Kilogramm Klimagase freisetzt, ist Lehm unschlagbar ressourcen- und energieschonend. Und ungiftig. Was auch die Entsorgung unkompliziert macht: Man könnte die Lehmwände beispielsweise einfach umwerfen und liegen lassen oder ebenso gut ein zweites Mal verwenden.
Entgegen erster Vermutungen ist Lehm sehr widerstandsfähig. Mehr als ein Drittel der Menschheit lebt auch heute noch in Lehmhäusern – einige davon sind bis zu 300 Jahre alt. Es ist zwar wahr, dass der Regen zunächst die äussersten Schichten feinster Lehmpartikel abwäscht, danach beginnt sich die Fassade aber selbst zu konservieren. Dies geschieht mit Hilfe austretender Salze, die an der Oberfläche mineralisieren und so den darunterliegenden Lehm imprägnieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der für den Einsatz des natürlichen Baumaterials spricht, ist das natürlich regulierte Raumklima: Nicht selten herrscht in Neubauten trockene Luft und belastet seine Bewohner. Grund hierfür sind die dichte Bauweise sowie die kontrollierten Lüftungen und Heizungen. In der Regel wird auf diesen Umstand mit noch raffinierterer und komplexerer Technik reagiert. Ein Lehmputz hingegen kann den Feuchtigkeitsgehalt der Luft auf natürliche Weise regulieren und so den Komfort im Innenraum effektiv steigern.
Passend zum Thema organisiert die Professur für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich gemeinsam mit der IG Lehm, dem Fachverband für Lehmbau in der Schweiz, eine Ausstellung: Unter dem Titel “Think Earth!” stellt diese Lehm als Werkstoff auf und zeigt die entsprechenden Bautechniken sowie Beispiele zeitgenössischer Lehm-Architektur. Gleichzeitig soll “Think Earth!” daran erinnern, dass dieser ergiebige und billige Rohstoff zu unseren Füssen – also in unseren Baugruben – liegt. Aber anstatt den Aushub aus Kies, Sand und Lehm als Ausgangsmaterial für den Hausbau zu verwenden, wird dieser seit Jahrzehnten ungenutzt auf Deponien gebracht.
Die Forscher sind davon überzeugt, dass Lehm seinen Weg in die moderne Welt zurückfindet, auch wenn dabei noch die eine oder andere Hürde zu überwinden ist. Die Rede ist hier von alten Verarbeitungstechniken, die mit den Anforderungen der heutigen Bauindustrie kaum mehr kompatibel sind. Doch genau daran wird heute vielerorts geforscht.
Gerne bereit diese Hürde schon jetzt zu nehmen und damit Pionierarbeit zu leisten ist das deutsche Bio-Handelsunternehmen Alnatura, das in Darmstadt einen neuen Firmensitz schafft und somit gleichzeitig Europas grösstes Bürogebäude aus Lehm errichtet. Den Plänen zufolge bestehen die beiden 94 Meter langen Längsseiten des dreigeschossigen Baus aus jeweils zwölf Meter hohen, 4,5 Meter breiten und 70 Zentimeter dicken Riegeln, die fast komplett aus Lehm und Kies bestehen. Schon in der zweiten Jahreshälfte 2018 will Alnatura-Gründer und Bauherr Götz Rehn mit seinen rund 500 Mitarbeitern in das “nachhaltigste Bürogebäude Deutschlands” umziehen.