Im auf 3sat ausgestrahlten “Science Talk” erklärt Professor Dirk Hebel, Architekt und Professor für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wie nachhaltiges Bauen durch Kreislaufwirtschaft und neue Baumaterialien zur Reduktion des CO2-Ausstosses beitragen kann.
Die Bauwirtschaft zählt zu den grössten Ressourcenverbrauchern weltweit. Sie ist verantwortlich für rund 50 Prozent des Verbrauchs an Primärmaterialien und trägt erheblich zum CO2-Ausstoss bei. In der SWR-Sendung “Science Talk” erklärt Dirk Hebel, Architekt und Professor für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), welche Lösungen das nachhaltige Bauen bietet, um diese Probleme anzugehen. Im Gespräch mit Julia Nestlen stellt er klar: Um den Herausforderungen der Klimakrise gerecht zu werden, müssen wir Bauprozesse und Materialien neu überdenken.
Zentral für Hebel ist die Kreislaufwirtschaft. Diese Idee setzt darauf, dass Baustoffe so verwendet werden, dass sie nicht nach dem Abriss eines Gebäudes zu Müll werden, sondern recycelt oder wiederverwendet werden können. Hebel hat während seiner Zeit in Äthiopien erkannt, wie wichtig es ist, lokal verfügbare Materialien zu nutzen und diese effizient zu verwenden. In vielen afrikanischen Ländern, so Hebel, sei der Begriff “Müll” anders konnotiert als in den westlichen Industrienationen. Dort wird Material eher als Ressource gesehen, die immer wieder neuen Nutzen schaffen kann. Diese Denkweise brachte er nach Europa mit und setzt sie in seiner Arbeit am KIT um.
Ein grosser Teil der herkömmlichen Bauweise verursacht enorme Mengen an CO2, insbesondere durch den Einsatz von Stahl und Beton. Diese Materialien benötigen bei ihrer Herstellung immense Energiemengen, und der chemische Prozess bei der Zementherstellung setzt zusätzlich CO2 frei. Hebel erklärt, dass bereits 50 Prozent des CO2-Ausstosses im Bauwesen auf den Einsatz von Beton und Stahl zurückzuführen sind. Dies zeigt, dass ein Umdenken in der Materialwahl und der Bauplanung notwendig ist, um den CO2-Fussabdruck von Gebäuden zu minimieren.
Ein zukunftsweisender Ansatz besteht darin, Häuser als Materiallager zu entwerfen, sodass sie nach ihrer Nutzung einfach rückgebaut und die verwendeten Materialien wieder in den Kreislauf eingespeist werden können. Der Fokus liegt dabei auf der Trennbarkeit der Materialien. Viele der derzeit verbauten Werkstoffe sind sogenannte Kompositmaterialien, die aus verschiedenen Komponenten bestehen, die nur schwer voneinander zu trennen sind. Ein Beispiel dafür sind Holzwerkstoffplatten, die mit Kleber verbunden sind und sich kaum wieder in ihre Einzelteile zerlegen lassen. Diese Art der Verbindung verhindert eine Wiederverwendung der Materialien und führt dazu, dass sie oft verbrannt werden – was den eingelagerten Kohlenstoff wieder freisetzt und das Gegenteil von Nachhaltigkeit bewirkt.
Die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen erfordert also eine völlig neue Herangehensweise an die Planung und den Bau von Gebäuden. Hebel betont, dass es notwendig ist, von Anfang an zu überlegen, wie ein Gebäude später zurückgebaut werden kann, ohne dass Materialien verloren gehen. Dies beinhaltet den Einsatz von Verbindungstechniken, die es ermöglichen, Bauteile leicht zu trennen. Statt Kleber und Nassdichtungen sollten beispielsweise Schrauben oder Klicksysteme verwendet werden. So könnte man in Zukunft Gebäude komplett rückbauen und die Materialien nahezu sortenrein wiederverwenden.
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung neuer, nachhaltiger Materialien. Dirk Hebel forscht an Alternativen zu Beton, die nicht nur weniger CO2 verursachen, sondern im Idealfall sogar CO2 binden. Ein Beispiel dafür ist das Myzel, das Wurzelwerk von Pilzen. Pilze wachsen extrem schnell und bilden ein starkes, fadenartiges Netzwerk, das Druckkräfte aufnehmen kann – ähnlich wie Beton. Hebel und sein Team experimentieren mit dem Einsatz von Myzel als Baumaterial, das organische Abfälle verwerten und CO2 speichern kann. Diese biologischen Materialien haben das Potenzial, das Ressourcenproblem im Bauwesen erheblich zu entlasten und gleichzeitig zur Reduktion von Treibhausgasen beizutragen.
Neben biologischen Materialien gibt es auch technologische Innovationen bei der Wiederverwertung herkömmlicher Baustoffe. So arbeiten Forscher daran, Verfahren zu entwickeln, mit denen alter Beton in seine Grundbestandteile zerlegt und erneut verwendet werden kann. Auch wenn diese Technologien noch in den Kinderschuhen stecken, sind sie vielversprechend. Die Europäische Union hat bereits ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2050 soll der Bausektor vollständig auf Kreislaufwirtschaft umgestellt sein. Das bedeutet, dass alle Materialien wiederverwendet oder recycelt werden müssen, um Müll zu vermeiden.
Hebel sieht in diesen Entwicklungen nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Chance. Zwar sind die Kosten für nachhaltiges Bauen derzeit noch etwa 10 Prozent höher als bei herkömmlichen Bauweisen, doch dies gilt nur für die Investitionskosten. Langfristig könnten kreislaufgerechte Gebäude sogar wirtschaftlich vorteilhaft sein, da die Rückbaukosten erheblich sinken und der Materialwert erhalten bleibt. Zudem müssen zukünftige Generationen keinen teuren Sondermüll entsorgen, sondern können von den recycelten Materialien profitieren.
Doch um diese Vision Realität werden zu lassen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Industrie und Politik notwendig. Hebel betont, dass Unternehmen Anreize benötigen, um auf nachhaltige Bauweisen umzusteigen. Erste positive Entwicklungen sind bereits sichtbar: Es gibt mittlerweile Teppichböden, die aus einem einzigen Material bestehen und nach Gebrauch vollständig recycelt werden können. Solche Ansätze zeigen, dass nachhaltiges Bauen nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern auch wirtschaftlich attraktiv sein kann.
Fazit: Nachhaltiges Bauen ist weit mehr als nur ein Trend. Es ist eine Notwendigkeit in Zeiten der Klimakrise und der Ressourcenknappheit. Durch innovative Materialien, wie Myzel und recycelbare Werkstoffe, sowie durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft kann die Bauindustrie einen erheblichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Der Schlüssel liegt in der Planung: Gebäude müssen so entworfen werden, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus rückgebaut und die verwendeten Materialien wiederverwendet werden können. Nur so lässt sich eine nachhaltige Zukunft im Bauwesen gestalten.